Gedanken in Krisenzeiten

Die Pandemie-Situation ist ein gesellschaftliche Herausforderung und verlangt vielen Menschen alles ab. Katastrophal sind die Folgen jetzt bereits für viele Einzelschicksale und Familien und viele Katastrophen werden noch folgen.

Für mich stellt sich vor allem die Frage, wie der gesamtgesellschaftliche Umgang mit der Krise insgesamt aussehen wird. Themen sind dabei etwa …

  • Welche Verschiebungen werden politisch und hinsichtlich der Werte resultieren - d.h. welche Gruppen werden von der Krise profitieren und welche normativen Veränderungen werden uns weiter begleiten? Hier gibt es tagtäglich sehr viele Dinge zu beobachten, die vermutlich so etwas wie “realtime Geschichtsunterricht” sind.
  • Welche Konsequenzen entstehen wirklich auf lange Sicht für die globale Wirtschaft und die Finanzsystem? Wird sich der Modus ändern oder wird nur versucht werden, die Folgen der Rezession im Dauerturbo auszugleichen?
  • Wird die Weltgesellschaft die aktuelle Krise als Anlass nehmen, längst überfällige Entwicklungen einzuleiten oder werden wir das Gegenteil erleben?
  • Werden notwendige Maßnahmen bzgl. des Umgangs mit dem Klimawandel nun beherzter möglich sein oder gar im schlechtesten Falle dramatisch verschoben?
  • Wird die Welt nach einer Pandemie in diesem Falle nationaler und protektionistischer sein oder globaler und kooperativer?
  • Wird es die Trumps dieser Welt aus den Sesseln hauen oder wird es mehr von solchen Nihilisten auf den Plan rufen?
  • Werden neue Religionen entstehen? Hmmm… sollte ich vielleicht eine gründen…? ;)
  • etc.

Adaption oder Back-To-Normal?

Es ist schon seit langer Zeit klar, dass in vielen Dimensionen gesellschaftlicher Realität ein Wandel nötig wäre. D.h. eine Post-Wachstums-Ära hat sich ohnehin schon als zwingend notwendig abgezeichnet, aber wurde einfach bis dato nach Möglichkeiten verdrängt. Die Angreifbarkeit der Systeme zeigt sich aber natürlich gerade in Krisenzeiten. Und das Besondere an der aktuellen Situation (in der sich zusätzlich dann noch ein Virus global verbreitet) ist, dass wir uns bereits “am Ende eines Denkmodells” oder vielleicht sogar Zeitalters befanden und gerade erst damit begonnen haben die ökologischen Folgen unseres Handelns und die Grenzen von Wachstum zu verstehen. Und wie in einem schlechten Drehbuch - genau in diesem Moment kommt (neben Kriegen und allen anderen Konflikten und Herausforderungen) auch noch eine Pandemie daher! Was wird das für die Auslegung des kollektiven Denkens bewirken?

Ich glaube, das wird in Summe mehr verändern, als die meisten Menschen es heute schon oder überhaupt wahrhaben wollen. Auf Kante genähte Systeme sind nicht dafür ausgelegt, unermesslich flexibel zu sein. Aber die viel relvantere Frage für mich ist dann - in welche Richtung die Veränderungen eingeschlagen werden. Werden wir lernbereit zeigen und über den Status Quo hinauswachsen - uns also entwickeln? Oder werden wir doch möglichst schnell wieder dorthin zurückwollen, von wo aus wir in die Krise gestartet sind? Ein kurzfristig vielleicht nachvollziehbares, aber mittel- und langfristig unvernünftiges Unterfangen.

Die Art und Weise, wie wir in den kommenden Monaten mit der Situation umgehen werden, werden hier Aufschluss geben. Ich drücke uns die Daumen.

Auch nach Corona wird es wärmer

Gleichzeitig ist aber eines bereits klar - die Pandemie zeigte, dass im Angesicht der Krise enorme gesellschaftliche Kursänderungen möglich sind. Etwa, wenn es um die finanziellen Mittel geht, die eingesetzt werden, um die Existenzen und wirtschaftlichen Betriebssysteme zu sichern. Der prognostizierte Impact des Klimawandels wäre weitaus Folgenschwerer für Mensch und Ökosystem, doch hier hatte man weniger den Eindruck, dass alles Mögliche veranlasst würde, um die Folgen dieser bevorstehenden Katastrophe einzudämmen. Hierfür gibt es jetzt einen neuen Benchmark. Es wird nun schwieriger sein zu argumentieren, warum man die Wirtschaft in Zeiten einer Pandemie mit allen Mitteln zu retten versucht und bereit ist den Kollaps der Gesundheitssysteme zu vermeiden, indem etwa die Freiheiten des Einzelnen stark eingeschränkt werden, aber nicht ähnlich triftige Maßnahmen angesichts einer Klimakatastrophe einleitet. Wie lange man sich etwa kategorisch über mögliche Geschwindigkeitsbegrenzungen auf deutschen Straßen unterhält, wirkt im Vergleich zu aktuellen Maßnahmen (vor allem der Geschwindigkeit deren politischer Durchsetzung) als geradezu albern. Ebenso die Diskussion um den Kohleausstieg und der damit verbundenen Timeline. Man sieht heute, dass Dinge schnell machbar wären. Man sieht auch, dass die Gesellschaft mitzieht, wenn der Ernst der Lage klar kommuniziert ist und Hilfestellung angeboten wird. Konzerne haben sich stets mit dem Argument des Erhalts von Arbeitsplätzen dem drohenden Geschäftsmodellwechsel entziehen können. Würde das jetzt immer noch funktionieren oder würde man den Menschen, denen der Wegfall des Arbeitsplatzes drohen würde, nicht viel entschlossener helfen, so dass dieses Argument keinem gesellschaftlichen Konsens im Wege stehen könnte. Die Retrospektive der Krise wird also eine spannende Lehrstunde darstellen, die neue Sichtweisen auf die noch zu meisternden Krisen möglich macht. Ich hoffe, wir nutzen es, denn auch nach Corona hat sich die Umwelt noch nicht erholt, es wird wärmer werden. Der Klimawandel ist nicht vertagt.

“Unter Druck entstehen Diamanten”

Man sagt ja, dass “unter Druck Diamanten entstehen” … Manchmal stimmt es vielleicht. Manchmal aber auch nicht.

Es gibt Menschen, die erkennen in Krisensituationen neue Potentiale und die lernen aus Rückschlägen. Es gibt aber auch viele Menschen, die reagieren mit dem Gewohnten auf das Neue.

Viele Unternehmen befinden sich aktuell etwa in einer überaus bedrohlichen Situation. Wenn die laufenden Kosten enorm hoch sind, wird etwa auch ein Kredit nicht die Situation beheben. Vielleich mildern und über eine Durststrecke hinweg helfen, aber nicht reparieren. Viele Betriebe nehmen also nichts ein, haben dennoch aber Kosten. Die fehlenden Einnahmen werden sich auch trotz Krediten auswirken, Kurzarbeit hilft. Am Ende werden es aber einige Betriebe nicht schaffen, den Folgen einer momentanen Krise vollständig zu totzen.

In Krisenzeiten ist Reaktion an der Tagesordnung. Man leitet Maßnahmen auf Basis der Ereignisse ein. Z.B. werden Kosten wo irgend möglich gesenkt, Hilfen beantragt und eventuell auch Mitarbeiter entlassen, um den Betrieb zu retten. Das alles ist, so bitter es auch ist, richtig und verständlich. Doch gleichzeitig sollten aus meiner Sicht viele Betriebe genau jetzt darüber nachdenken, wie neue Wege beschritten werden können. Gerade jetzt ist dies für viele sicher das unpassendste Thema überhaupt. Wenn man Menschen z.B. die Kündigung aussprechen oder den Mangel verwalten muss, dann hat man nicht mehr die Muße, nach vorne und in neuen Möglichkeiten zu denken. Aber dennoch wäre dies gerade für viele wichtig.

Denn es wird sich mehr ändern als nur die situative Nachfrage. Anpassungsfähigkeit ist gerade momentan nötig.

Z.B.:

  • Wenn Kunden nicht mehr ins Geschäft kommen können, wie kann man neue Vertriebswege oder Dienstleistungen erschließen, um den Einbruch des Geschäfts zu kompensieren?

  • Wenn Personal von zu Hause arbeiten muss, wie kann man diese Situation jetzt nutzen, um neue Themen, Infrastrukturen oder Arbeitsweisen zu etablieren, die auch nach der Krise wertvoll sind?

  • Wenn Güter / Produkte nicht mehr auf herkömmlichen Weg verkauft werden können - kann man eventuell Sekundärprodukte oder -Dienstleistungen daraus genieren?

  • Wenn Dienstleistungen nicht mehr ausgeübt werden, kann man eventuell weitere Angebote schaffen, die auf dem Know-How der Dienstleistungen basieren?

  • Noch viel grundlegender: Gibt es Möglichkeiten, sich mit anderen Betrieben zu neuen Formen der Kooperation zusammenzuschließen - etwa als eine Art moderne Kooperative … ?

Ich bin überzeugt, dass es nach der Coronakrise sehr viele neue Geschäftsideen geben wird, die durch den kreativen Umgang mit existenziellen Herausforderungen entstanden sind. Ebenso überzeugt bin ich, dass viele Geschäftsfelder wegbrechen werden. Manche werden sicherlich wieder hochgefahren werden, weil sie einen ständigen Bedarf abdecken. Z.B. Essen.

Insgesamt kann ich nur hoffen, dass möglichst viele Menschen diese Krise auch als den “richtigen Zeitpunkt” zu Innovation und kreativen Experimenten begreifen werden. Selbst dann, wenn es noch schwerer als üblich erscheint.

Urgent & Important

Auf der globalen und gesellschaftlichen “Meta-Ebene” hoffe ich, dass wir trotz allen kurfristig nötigen Reaktionen den Blick für die noch folgenden Transformationen offen halten. Denn vieles ist gerade, um mit einem Bild der Eisenhower-Matrix zu sprechen “urgent” und “important” … vieles sollte jetzt mit hoher Priorität sofort erledigt werden. Alles nicht wichtige und nicht dringende kann vorerst zurückgestellt werden. Doch neben der Pandemie bleiben auch viele andere Handlungsfelder gleichwichtig.

Für die Gesamtlage der Herausforderungen brauchen wir viel Kreativität, viele neue Ideen, neue Formen der globalen Kooperation und neue Modelle des Wirtschaftens. In der Krise (die eine Tragödie für viele ist!) liegt auch eine gesellschaftliche Chance. Wir müssen gerade sehr flexibel sein und erleben, dass die Dinge nur so lange gelten, wie sie wahr sind. Diese Flexibilität müssen wir nutzen und für mehr Handlungsfelder urbar machen.